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Sonntags-Kolumne: Beurteilen und Verurteilen

Ja ja, ich weiß schon. Auf Mode- und Beauty-Blogs möchten die meisten Leserinnen einfach nur nett unterhalten werden. Ein bisschen Kleider gucken, sich über Neuigkeiten aus der Beauty- und Kosmetikbranche informieren oder schicke, stylische Wohnzimmer im Schwarz/Weiß-Look bewundern. Und das ist auch völlig OK so. Man liest ja jeden Tag in den Zeitungen so viel Schreckliches, dass es gut tut, sich auch einmal auf seichte Weise zu unterhalten. Und schließlich gehören Klamotten, Taschen und Schminke zu den schönsten Nebensächlichkeiten der Welt (zumindest für uns Frauen).

Ab und zu habe ich aber das Bedürfnis, als Bloggerin das flache Beauty- und Fashion-Gewässer zu verlassen und über Themen zu schreiben, die berühren, begeistern, verärgern oder sogar ein bisschen traurig machen. Deshalb gibt es ab sofort auf Fortyfiftyhappy eine Sonntags-Kolumne mit Themen jenseits von Beauty und Fashion.

Heute, zum Auftakt meiner neuen Kolumne, möchte dir von einem Erlebnis erzählen, dass ich letztes Wochenende hatte.

Hast du schon einmal erlebt, dass du jemanden falsch beurteilst oder gar zu Unrecht verurteilt hast?

Genau das ist mir am vergangenen Sonntag leider wieder einmal passiert, als wir einen Ausflug in den Pfälzer Wald machten…

Unser Ziel war eine romantische Burgruine, die hoch oben über den Weinbergen thront, mit wunderschönem Blick in die Rheinebene. Wir freuten uns, nachdem wir den Aufstieg über gefühlt tausend Treppenstufen hinter uns hatten, auf eine kalte Weinschorle in der Burgschenke. Wir waren natürlich nicht die Einzigen, die das schöne Wetter für eine Wanderung auf die Burg nutzten. Alle Tische und Bänke auf der Aussichtsterrasse waren besetzt. An einem großen Tisch saßen nur 4 Leute, und wir durften uns dazu setzen.

Kaum Platz genommen, hörte ich, wie die jüngere der beiden Frauen, die neben uns saßen, lautstark mit ihrer Tischnachbarin diskutierte. Ich konnte nicht verstehen, worüber sie sich so aufregte, aber es war total unangenehm. Die beiden Männer ihr gegenüber, wahrscheinlich ihr Mann und ihr Sohn im Teenager-Alter, starrten, peinlich berührt, die Tischplatte an.

Was dachte sich die Frau nur? Wie kann man an einem so schönen, sonnigen Tag nur so negativ sein und ununterbrochen meckern und schimpfen! Und damit auch noch die anderen Leute am Tisch (uns!) stören.

Als die Stimme der Frau immer schriller und lauter wurde, hörte ich, dass sie über das deutsche Gesundheitssystem schimpfte. Zwei-Klassen-Medizin, schlechte Versorgung, unmotiviertes Personal… Bestimmt eine Viertelstunde ging das so, und ich war kurz davor, sie anzusprechen und aufzufordern, doch bitte etwas leiser zu schimpfen. Mittlerweile war ich nämlich ziemlich genervt von ihrem negativen Gerede.

Da stand die Tischnachbarin, eine ältere Dame, auf, und wandte sich zum Gehen. Offensichtlich war sie eine Zufallsbekanntschaft und gehörte nicht zur Familie. Sie blieb kurz am Tisch stehen, ebenfalls sichtlich genervt, und sagte zu der keifenden Frau „Ich wünsche Ihnen, dass Sie auch einmal positive Erfahrungen im Leben machen, damit sie nicht so viel schimpfen müssen…“. Sie ging, und sah in dem Moment nicht mehr, wie der anderen Frau die Tränen in die Augen stiegen. Die ältere Dame hörte auch nicht mehr, wie sie ganz leise sagte: „Ich habe meinen 6-jährigen Sohn verloren. Die Ärzte haben ihm nicht geholfen, sie haben ihn einfach sterben lassen“.

Aber ich habe diesen Satz gehört. In dem Moment wäre ich am liebsten aufgesprungen, und hätte sie fest in die Arme genommen. Mein ganzer Ärger war mit einem Schlag verflogen. Ich empfand nicht nur großes Mitgefühl mit dieser Frau, sondern ich schämte mich. Ich schämte mich, weil ich wieder einmal in die Falle getappt war, einen Menschen aufgrund eines äußeren Anscheins zu verurteilen und sogar innerlich zu beschimpfen („blöde, negative Kuh“).

Diese Frau hat das Schlimmste erlebt, das sich eine Mutter überhaupt vorstellen kann: Ein Kind zu verlieren. Darf man es ihr verübeln, dass Sie mit Gott und der Welt hadert? Dass sie verbissen und voller Wut ist? Vielleicht ist tatsächlich im Krankenhaus etwas nicht so gelaufen, wie es hätte sein sollen. Wer weiß das schon? Würde ich glücklich und unbeschwert in der Sonne sitzen, wenn ich mein Kind verloren hätte? Nein, ganz bestimmt nicht.

Ich habe mir schon vor langer Zeit fest vorgenommen, genau dieses oberflächliche Beurteilen und Verurteilen sein zu lassen. Vor zwei, drei Jahren hatte ich nämlich ein ähnliches Erlebnis, das mich aufrüttelte.

In der Nähe meines Büros gibt es ein Eiscafé mit Terrasse. Immer, wenn ich mir um die Mittagszeit in der benachbarten Bäckerei etwas zu Essen holte, saß eine Frau auf der Terrasse und trank gemütlich Kaffee. Jedesmal, wenn ich sie sah, dachte ich mir: „Der geht es gut. Die muss nicht arbeiten und sitzt jeden Tag im Café und genießt das Leben“. Manchmal war ich auch ein bisschen neidisch, weil ich gleich zurück ins Büro musste, wo ganz viel Arbeit und Termine bis spät am Abend auf mich warteten. Einige Monate später erfuhr ich zufällig, dass diese Frau ein schwer behindertes Kind zuhause hat. Jeden Tag um die Mittagszeit kommt der Pflegedienst, um das Kind medizinisch zu versorgen. Dies war die einzige Stunde am Tag, in der die Frau das Haus verlassen und kurz verschnaufen konnte…

Damals hatte ich mir vorgenommen, das Interpretieren, Beurteilen oder gar Verurteilen sein zu lassen. Man denkt, die Situation voll durchschaut zu haben, doch dabei liegt man meistens völlig daneben. Ist das nicht schrecklich dumm?

Ich will dir noch eine kleine Geschichte aus dem Orient erzählen, die wunderbar zu meinem heutigen Thema „Beurteilen“ passt:

Ein persischer Edelmann hatte ein kostbares Pferd, aber eines Tages lief es fort. Die Nachbarn sagten: “Was für ein Pech, dass euer edles Pferd weggelaufen ist!”. Aber der Edelmann antwortete: “man wird sehen”.

Eine Woche später kam das Pferd zum Hof zurück und brachte eine ganze Herde wilder Pferde mit. “So viel Glück!” riefen die Nachbarn, aber der Edelmann sagte: “man wird sehen”.

Kurz danach versuchte der Sohn des Edelmanns, eines der wilden Pferde zu reiten – aber er wurde abgeworfen und brach sich ein Bein. “Oh, so ein Pech!” Die Nachbarn hatten Mitleid, aber der Edelmann sagte wieder: “man wird sehen”.

Ein paar Tage später zog der Landesherrscher alle jungen Männer in sein Heer ein, um in die Schlacht zu ziehen. Aber den Sohn des Edelmanns ließen sie wegen seines gebrochenen Beins zu Hause: “Was für ein Glück, dass dein Sohn nicht in die Schlacht ziehen muss!” freuten sich die Nachbarn. Aber der Edelmann bemerkte nur: “man wird sehen”…

Ich danke dir fürs Zuhören (bzw. Lesen) und wünsche dir und deiner Family noch einen wunderschönen, gemütlichen Sonntag.

♥ Liebe Grüße, Birgit

11 comments

  1. Hallo liebe Birgit, jetzt hab ich’s ein paar Mal versucht… irgendwas hat mit dem Kommentieren nicht geklappt, aber wenn ich oben vor dem Text auf „Kommentare“ klicke, erscheint das Kästchen „Datenschutz“ unten, ansonsten nicht… also nochmal in aller Kürze: 1. finde ich Du hast ein echtes Talent für solche „Kolumnen“, ich finde es großartig, wie Du es fertig bringst, Menschen anzurühren. Ähnlich wie in diesem „Verwunschener Garten“-Post…Das ist ein dickes, fettes, ernst gemeintes Lob! 2. Natürlich verurteile ich auch dauernd, ich denke, wir tun das mehr unbewusst. Aber wie Du es tust: drauf aufmerksam machen, darauf achten, dann passiert es vielleicht weniger häufig…
    Liebe Grüße, Maren

  2. Jetzt hat’s geklappt! Puh, ich wette, andere hatten auch schon Schwierigkeiten… was ich noch sagen will: ich mag auch Blogs, die sich mit Fashion und Style beschäftigen, aber ich fänd es super, wenn ich ab und zu auch sowas von Dir lesen würde… wie gesagt, Dein Post heute hat mich sehr angerührt.

  3. Liebe Maren,
    es tut mir sehr leid, dass es wieder einmal Problem mit dem Kommentieren gab. Für eines meiner Plugins gabs ein Update, und jetzt ist alles durcheinander geraten. Zur Zeit suche ich verzweifelt, wo mein Cokkie-Banner abgeblieben ist :((
    Herzliche Grüße
    Birgit

  4. Liebe Birgit,
    Du hast ja leider so Recht. In unserer ah so oberflächlichen Welt ist das schnelle Be-/Verurteilen leider gang und gäbe.
    Aber wir können ja alle an uns arbeiten!
    Liebe Grüße
    Toni

  5. So, jetzt kann ich auch kommentieren.

    Es stimmt. Ein Stempel ist schnell aufgesetzt und ein Mensch schnell verurteilt. Manchmal muss man einfach genauer hinhören und hinsehen.

    Liebe Grüße
    Sabine

  6. Liebe Sabine, ja, mit dem Stempel aufsetzten ist man leider oftmals viel zu voreilig.
    Wenn man sich das bewußt macht, schafft man es vielleicht, das urteilen und beurteilen sein zu lassen.
    Herzliche Grüße
    Birgit

  7. Puh, da hast du ja echt zwei harte Schicksale getroffen. Viel zu schnell fällt man in Versuchung und Beurteilt ohne zu überlegen warum und wieso ein Mensch ist wie er ist. Ich glaube, wenn man versucht das zu verstehen baut man Empathie auf, aber das ist auch nicht immer leichtgetan. Danke für dein Post, er hat auch mich zum Nachdenken gebracht.
    Lieber Gruß,
    Claudia

  8. 🙂 Liebe Birgit,
    ich stelle auch immer wieder fest, wie vorsichtig man mit seinen Gedanken sein sollte. Jemanden falsch einzuschätzen, geht leider ganz schnell.
    Dir noch eine schöne Woche und liebe Grüße
    Claudia 🙂

  9. Liebe Birgit, ich kann nachvollziehen, dass man als Blogger auch tiefere Themen aufgreifen möchte. Schließlich, gerade wir sind nicht oberflächlich. Wir möchten unsere Erfahrungen teilen und egal was für Kommentare folgen, wir möchten ein Austausch. Deine Geschichte ist so wahr. Ich habe mir auch beigebracht, dass nicht alles was man hört oder sieht, den Menschen ausmacht. Das ist der Grund warum manche Leute, bevor sie was laut sagen, sich erstmal auf die Zunge beißen sollen. Alles Gute und viele liebe Grüße!

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